Außenhandel aktuell

„Wird Indien das neue China?“

Welche Bedeutung hat Indien für die deutsche Wirtschaft?

Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land abgelöst. Mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern ist es auch die größte Demokratie der Welt und hat wachsenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss – gerade im Indopazifik, also dem Raum rund um den Indischen Ozean sowie Teile des Pazifiks. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Indien ist zuletzt deutlich gestiegen, im vergangenen Jahr lag es bei rund 30 Milliarden Euro. Indien lag damit auf Rang 24 der wichtigsten deutschen Handelspartner. Zum Vergleich: Größter Handelspartner war China, mit einem Handelsvolumen von rund 299 Milliarden Euro. Außenhandelstechnisch legen also immer mehr deutsche Unternehmen ihren Fokus auf Indien auch als willkommene Alternative für China.

Lesen Sie hierzu auch den Leitartikel in der aktuellen Ausgabe (09/2023) unserer Publikation „VR International“ der DZ Bank AG:

Der indische Markt bietet große Chancen für deutsche Mittelständler

Indien zählt zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt und wird für Firmen rund um den Globus immer interessanter. Zwar erschwert das brach liegende Freihandelsabkommen mit der EU den Handel, und auch bürokratische Hürden, kulturelle Unterschiede und eine mangelhafte Infrastruktur stellen Unternehmen vor Herausforderungen. Der Subkontinent hat jedoch großes Potenzial für den deutschen Mittelstand. Vor allem für die Automobilindustrie, den Maschinenbau und die Informationstechnologie bietet Indien interessante Geschäftsmöglichkeiten.

Für Branchen aus dem Sektor erneuerbare Energien ist der Markt ebenfalls interessant, da Indien bis 2070 klimaneutral sein will. „Indien hat eine große und aufstrebende Mittelschicht, die über eine steigende Kaufkraft verfügt und somit eine vielversprechende Zielgruppe für deutsche Unternehmen darstellt“, so Christian von Zastrow, Senior Relationship Manager Structured Finance bei der DZ BANK AG. Um auf dem Markt erfolgreich agieren zu können, empfiehlt er, den indischen Markt sorgfältig zu analysieren, lokale Bedingungen zu berücksichtigen und eine langfristige Perspektive einzunehmen.

Wenn erstmals seit mehr als zehn Jahren ein deutscher Bundeswirtschaftsminister nach Indien reist, dürfte klar sein, dass Indien wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt, als es zeitweise der Fall war. Die deutsche Wirtschaft soll sich breiter aufstellen und sich weniger abhängig von China machen, so die Hoffnung von Robert Habeck. Die Vision: mehr grüne Energie aus und mehr Handel mit Indien. Der Warenaustausch hatte in jüngster Zeit zugenommen, doch 30 Milliarden Euro Volumen sind nur ein Zehntel dessen, was der Handel zwischen Deutschland und China ausmacht. Partner seien nötig, damit sich die EU und Deutschland gegen China und die USA behaupten, sagte der Wirtschaftsminister in Indien. Deutschland ist Indiens wichtigster Handelspartner innerhalb der EU und Indien Deutschlands wichtigster Handelspartner in Süd- und Südostasien, so die ministeriale Begründung.

Freihandelsabkommen geplant

Die Unternehmen hoffen wiederum, dass ein Freihandelsabkommen zwischen der fünftstärksten Wirtschaftsmacht und der Europäischen Union endlich zustande kommt, um ihnen den Handel zu erleichtern. Doch Deutschland und die EU sind nicht allein unterwegs. Viele weitere Volkswirtschaften wollen die Beziehungen zu Indien stärken, etwa die USA, die Indien eine Kooperation bei der Energiewende angeboten haben.

Das Freihandelsabkommen wird bereits seit 2007 verhandelt. Die letzten Gespräche scheiterten im Jahr 2013. Deutschland hatte sich von Indien ab- und stärker China zugewandt. „Anders als die 2013 gescheiterten Gespräche sind die jetzigen Verhandlungen von dem Paradoxon gekennzeichnet, zugleich einfacher und komplizierter zu sein“, beschreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik die Lage. Sie seien einfacher, weil die EU und Indien heute in geopolitischen Fragen – vor allem mit Blick auf China – mehr Übereinstimmungen haben als je zuvor. Sie seien aber auch komplizierter, weil der Erfolg der Verhandlungen weiterhin von schwierigen Zugeständnissen auf beiden Seiten abhängt.

Erneut zu scheitern ist aus Sicht der Stiftung allerdings weder für Indien noch für die EU mit Blick auf die Zukunft ihrer strategischen Partnerschaft eine Option. Bis Ende des Jahres soll das Abkommen idealerweise unterschriftsreif sein, weil 2024 sowohl in Europa als auch in Indien Wahlen anstehen. Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), ist skeptisch, ob das klappt. Ein starkes Signal wäre für ihn zunächst ein Investitionsschutzabkommen der EU mit Indien. Wie und wann auch immer die Verhandlungen enden werden: Der DZ-BANK-Experte von Zastrow empfiehlt: „Das Engagement deutscher Mittelständler in Indien sollte nach meiner Auffassung nicht ausschließlich von einem bestehenden Freihandelsabkommen abhängen.“ Viele deutsche Unternehmen seien bereits in Indien aktiv und würden erfolgreich Geschäfte machen. „Der indische Markt bietet unabhängig von einem Freihandelsabkommen große Chancen für deutsche Mittelständler.“ Warum der Markt so wichtig ist, zeigt ein Blick auf die Wirtschaftsdaten: Indien gelang in den vergangenen Jahren ein stetiges Wirtschaftswachstum, 2022 waren es fast 7 %. Nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wächst das Land weiter – in diesem Jahr um 6,1 % und 2024 sogar um 6,8 %. In diesem Tempo könne das Land Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt im Jahr 2025/26 ablösen, prognostiziert der IWF. Nicht nur die indische Wirtschaft wächst, auch die Bevölkerung, die inzwischen bei 1,425 Milliarden Menschen liegt und damit China als das bevölkerungsreichste Land der Welt abgelöst hat.

Gute Bewertung durch Firmen vor Ort

DIHK-Vizepräsidentin Kirsten Schoder-Steinmüller bescheinigt Indien „eine einzigartige Kombination aus Markt-größe, Marktpotenzial und Talentpool“. Deutsche Unternehmen vor Ort würden die Geschäftslage und -erwartungen überdurchschnittlich gut bewerten und auch hierzulande werde Indien zunehmend als Eckpfeiler globaler De-Risking-Strategien gesehen. Die Aussagen werden auch von einer aktuellen Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG untermauert:

Danach erwarten 71 % der deutschen Unternehmen in Indien steigende Umsätze und 48 % steigende Gewinne auf dem Subkontinent. Für die Fünfjahres-Perspektive sind die Unternehmen sogar noch positiver gestimmt. Hier erwarten 83 % einen Umsatz- und 73 % einen Gewinnzuwachs. Die drei wichtigsten Standortfaktoren sind die politische Stabilität (62 %), die Verfügbarkeit exzellenter Fachkräfte (56 %) sowie die auch künftig noch relativ niedrigen Lohnkosten (45 %). Die größten Nachteile sind hohe Einfuhrzölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse. Indien kann aus Sicht des DZ-BANK-Experten von Zastrow für deutsche Unternehmen zu einer echten Alternative zu China werden. Dass Indien dem Reich der Mitte in den kommenden 10 bis 15 Jahren den Rang abläuft, hält er aber für „sehr unwahrscheinlich“.

China noch weit vor Indien

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hat sich eine etablierte Position als Produktions- und Exportzentrum erschaffen, verfügt über eine gut entwickelte Infrastruktur, eine große Arbeitskräftereserve und eine starke industrielle Basis. Indien hingegen, so von Zastrow, habe noch einige Herausforderungen zu bewältigen, um seine Wirtschaft weiterzuentwickeln. Dazu gehört unter anderem die schlechte Infrastruktur. 10.000 Kilometer Schnellstraßen sollen pro Jahr entstehen und rund 100 Flughäfen gebaut werden, um die hohen Logistikkosten zu senken. Nach Angaben des Ministeriums für Transport machen Transport- und Logistikkosten 16 % des BIP aus. In China sind es dagegen nur 10 %. Hinzu kommen Engpässe bei der Bürokratie und im Rechtssystem. „Diese Faktoren können die Geschäftstätigkeit und Investitionen in Indien erschweren“, erläutert von Zastrow. Allerdings gebe es Fortschritte und Bereiche, in denen das Land mit China konkurrieren kann. „Zum Beispiel ist Indien ein führender Anbieter von IT-Dienstleistungen und hat eine wachsende Startup-Szene.“

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